Warum ich es nicht schaffe, meinen Roman zu beenden

Ich schreibe. Wie so viele. Seit langem. Es wird ein Roman. Historisch. Nach wahrer Geschichte.

Das ist das erste Problem. Kein geringes; denn wahre Geschichten werden bevölkert von Helden, die es auch gab. Ihnen gerecht zu werden, bedeutet, akribisch zu recherchieren. Sie haben Nachkommen, sind nicht einfach tot. Sie leben im Hier und Jetzt weiter. Was, wenn eine Ur-Enkel-Tochter mein Buch liest und wütend wird oder – viel schlimmer noch – traurig? Dann schreibt sie mir eine E-Mail oder ruft sogar an…

Also nehme ich diese Aufgabe ernst. Will alles erfahren. Über Sophy & Frank, die Helden meines Romans. Mit ihnen auch, wo der eine, der andere war. Exotische Orte: Van Diemen’s Land und die Antarktis. Neben London, natürlich. Vorletztes Jahrhundert.

Doch hier geht es weiter: Wem begegneten sie? Wer bestritt seine Wege mit ihnen? Wer beeinflusste sie? Wer war ihnen wichtig?

Es stellt sich heraus: Es waren der damals Berühmten sehr viele. Bessergestellte. Zum Glück (für mich). So finde ich Zeitungsausschnitte und manchmal Briefe in den Archiven.

Doch weil es Personen der Zeit waren und weil es so viel über ihr Leben zu recherchieren gibt, verliert sich wieder die Zeit. Verknotet sich mit dem neu erfahrenen Wissen. Verrinnt nicht, vergießt sich geradezu. In Wochen, Monaten, Jahren.

Es gab und gibt Augenblicke, da fehlt mir so viel Beziehung zu meinem Roman, dass ich glaube, ein Sachbuch zu schreiben. Da möchte ich sammeln und ordnen und sichten und Fakten – nicht Inspiration. Bis sich alles anfühlt wie ein Perpetuum mobile meiner Gedanken, gärend und quellend und überbordend aus Zoteros Ordnern.

Am Ende (Ist es das Ende?) gewinnt die Legende. Sie lässt mich nicht los. Ich lass‘ sie nicht los. Sie lebt in mir wie ein Organ. Hat sich aus mir erwachsen, an mir verankert, in mich gebettet. Wir bleiben verbunden, auch wenn ich seine Funktion noch nicht erkenne.

Also wie beginnen? Wie enden? Und was kommt mittendrin?

Es existieren unzählige Schreibratgeber. Bücher: haptische, digitale, zu hörende. Videos: kostenlose, kostenpflichtige. Master Classes! Es gibt Softwareprogramme und Applikationen. Freie Lektoren. Internetforen, Blogs und Websites. Der Markt läuft geradezu über. Rette ich die Katze oder halte ich mich an die Drei-Akt-Struktur? Was haben Schneeflocken mit Sieben Sequenzen zu tun? Was ist der Unterschied zwischen Story und Plot? Schon wieder Probleme…

Wieder Recherche. Wieder aufgesogenes Wissen. Wieder Suche nach Ordnung. Ich habe im Laufe der Zeit so intensiv nachgedacht über Charakter und Handlungsoption, dramatische Kniffe, den Wendepunkt und die Transformation (im Innen, im Außen), dass sich mein Stoff in mir, vor meinen Augen zerreißt zu einem grobmaschigen Netz. Der Leser, so meine Befürchtung, findet darunter nichts, was ihn überrascht, erstaunt, sogar packt.

Probleme. Viele Probleme. Und alle enden in Prokrastination. Darum bringe ich mein Buch nicht zu Ende. Obwohl es in mir ist, vollends, und drängt. Leben will. Sein will. Ach, was sag‘ ich denn: MUSS!